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REISE IN DIE ZUKUNFT
Jeden Monat finden Sie hier eine neue Folge der ESSENTIAL Science-Fiction-Serie Reise in die Zukunft. In einer fiktiven Welt, in der die Ziele des Pariser Klimaabkommens Wirklichkeit geworden sind, erkundet Blogger Nero den möglichen technologischen und gesellschaftlichen Wandel. Ziel der Serie ist es, möglichst kreativ mit ganz unterschiedlichen Visionen zu spielen, und den Leser mitzunehmen auf ein Gedankenexperiment: Wie könnte unsere Zukunft aussehen – und was bedeutet das für uns?
Science-Fiction-Kurzgeschichten: Staffel 2, Folge 1
Digitalfrei
Auf den Spuren der Datenaktivistin Hanna Karlsen reist der Blogger Nero nach Paradise Island. Im Jahr 2050 hat sich dorthin eine Schaar von Digitalaussteigern zurückgezogen. Doch die Harmonie trügt.
Immer in Bereitschaft
„Ich muss Dich deaktivieren. Sorry.“ Zum ersten Mal, seit mich Avar begleitet, antwortet sie nicht sofort. Als arbeite es in ihr. Völlig unmöglich, denn das gesamte Denken meiner KI-Assistentin findet in der Cloud statt. Schließlich spricht sie im gleichen ruhigen Tonfall wie immer. „Nero, das ist leider nicht möglich. Du erinnerst Dich vielleicht noch an die letzte Reform des Lebensschutzgesetzes aus dem Jahr 2041. Du hattest Dich als Blogger selbst intensiv damit auseinandergesetzt.“
Stimmt. Damals wurde, nach intensiver Debatte, ein unionsweit geltendes Gesetz erlassen, das alle Menschen mit integrierter Sende-Empfangseinheit dazu verpflichtet, den persönlichen KI-Assistenten immer in Bereitschaft zu belassen. Zwar kann ich Avar in den Schlafmodus versetzen, etwa wenn ich zu einem romantischen Dinner verabredet bin. Sobald sie jedoch erkennt, dass ich in Lebensgefahr gerate oder – das war der eigentlich Anlass für das Gesetz – mir selbst etwas antun wollte, ruft sie dennoch alle verfügbaren Sicherheitseinheiten herbei. Nun, zum Suizid habe ich weder Anlass noch Veranlagung. Der Fall liegt anders.
Kontakt zu den Aussteigern
Seit dem gewaltsamen Tod der Datenaktivistin Hanna Karlsen hatte ich mich intensiv mit ihrem Leben beschäftigt. Ich fand heraus, dass sie mehrfach bei den Daten-Totalaussteigern auf Paradise Island zu Gast war. Unter dem Vorwand, eine Reportage zu planen, will ich selbst auf die Pazifikinsel zu reisen. Allerdings ist die Einreise nur ohne jegliche Elektronik erlaubt. Durch Bodyscanner, so heißt es warnend in den Zollbestimmungen, würde auch jede implantierte Sende-Empfangseinheit erkannt.
Nach dem Dialog mit Avar beschließe ich, mit offenen Karten zu spielen. Ich schrieb, selbstverständlich quantenverschlüsselt, dass ich eine Geschichte über Hanna plane. Und dass ich mich gerne vor Ort umsehen würde, aber vermutlich die Einreisebestimmungen nicht erfüllen könne – ob es einen Weg gäbe? Wenige Stunden später erhielt ich die Antwort, die anders als fast meine gesamte sonstige Korrespondenz nicht von Avar gelesen werden konnte.
Lieber Nero,
wir kennen Dich und Deinen Blog. Deine Arbeit ist gut, wenn auch in Summe zu technologie-begeistert. Wir haben Deine Anfrage im Rat diskutiert und wollen Dich zu uns einladen. Für Dein Problem mit der integrierten Sende-Empfangseinheit haben wir die richtige Lösung. (Keine Angst, wir schneiden Dir Deinen Unterarm nicht ab – die richtige Dosis elektromagnetischer Strahlung tut es auch.)
Paradiesische Grüße
Adam
Ein besonders origineller Tarnname war das ja nun nicht. Dennoch brach ich noch am gleichen Tag zum Flugbahnhof auf.
Zeitlosigkeit
Drohnentaxi, Hyperloop, Schnellfähre, Roboshuttle – zehn Stunden später habe ich nahezu jedes Verkehrsmittel genutzt, das im Jahr 2050 eingesetzt werden darf. Ich stehe am Kai einer indonesischen Megacity, im Rücken die Skyline aus 50 Stockwerke hohen Wohntürmen. Vor mir das Meer – und ein kleines Segelboot, dessen Kapitän mich an Bord winkt. Peter stellt sich kurz vor und führt mich sofort unter Deck. „Zu allererst reinigen wir Dich von aller Elektronik, die Du möglicherweise mit Dir führst.“ Mit meinem Rucksack soll ich mich in die Duschkabine stellen. „Dauert nicht lang“, murmelt Peter und knallt die Tür zu. Nicht Wasser, sondern Musik erfüllt die Kabine. Und ich höre Avar, für lange Zeit ein letztes Mal: „Nero, Vorsicht, Du befindest Dich in einem starken Magnetfeld. Es wird...“ Da erstirbt ihre Stimme.
Eine Woche später, ungefähr. Das Datum zählt nicht auf dieser Insel, genauso wenig wie die Uhrzeit. Es gibt nur Tag und Nacht. Und die Zeit dazwischen, der Sonnenuntergang, wenn sich die gesamte Kommune am Strand um ein großes Lagerfeuer versammelt. 32 Erwachsene habe ich gezählt, dazu ein rundes Dutzend Kinder. Mit nahezu jedem habe ich in den vergangenen Tagen gesprochen – und immer wieder die gleiche Geschichte gehört: Studium der Informationstechnik oder der Digitalwirtschaftslehre. Arbeit rund um die Uhr. Karriere bis zum Burn-out. Und dann Flucht nach Paradise Island, wo jegliche Digitaltechnik aus dem Leben verbannt ist. Die Aussteiger eint keine große politische oder gesellschaftliche Idee, sondern allein die Genügsamkeit, die ein Leben abverlangt, das auf moderne Technik verzichtet. Es gibt zwar Maschinen und auch mit Hilfe von Solarthermie erzeugten Strom, aber alles funktioniert ausschließlich mit analoger Elektrotechnik wie man sie schon zu Lebzeiten meiner Eltern nur noch im Museum fand.
Entdeckt
An diesem Abend, dem Beginn einer Vollmondnacht, verlasse ich meinen Platz am Lagerfeuer früh. Ich bin unruhig, verstehe mich selbst nicht mehr. Denn ich muss feststellen, dass ich nichts vermisse. Das Leben, das ich in Europa zurückließ, scheint mir unendlich fern. So entschließe ich mich zu einem Strandspaziergang. Ich gehe langsam, und doch ist das Feuer bald nur noch ein kleiner Punkt in meinem Rücken. Herrlich, dieses Rauschen des Meeres. Einige Minuten später ist es deutlich lauter geworden. Kommt ein Sturm auf? Kann kaum sein, denn das Meer ist spiegelglatt. Außerdem scheint das Rauschen aus dem Landesinneren zu kommen. Ich folge einem Bachlauf. Zwischen dem dichter werdenden Gestrüpp entdecke ich elektrisches Licht. Ungewöhnlich, denn Außenbereiche werden auf Paradise Island üblicherweise nicht beleuchtet. Im Schutz des Waldes schleiche ich mich an.
Auf einer Lichtung steht eine Aluminiumhalle, rundum fensterlos. Davor in den Boden eingelassene Kühlschächte, aus denen gewaltige Luftmengen strömen – die Ursache für das starke Rauschen. Ein Hallentor ist geöffnet, davor weist Adam einen Elektrolieferwagen ein. Als der Wagen vor dem Tor hält, steigt der Fahrer aus und ruft: „Hier ist Eure neue Kassandra 9X. Ich nehme an, Ihr zahlt wieder über das Dunkelnetz?“ Adam besieht sich die Fracht. „Aber erst, wenn wir sie in Betrieb genommen haben und alles funktioniert.“
Kassandra 9X? Das ist der leistungsfähigste KI-Quantenserver der Welt! Ich hatte ihn doch erst vor wenigen Monaten auf der Shenzhen Computer Show bestaunt. Behutsam zog ich mich zurück.
Enttarnt
Einige Sonnenaufgänge später hatte ich mich dazu entschlossen, Adam mit meiner Beobachtung zu konfrontieren. Denn daran, in die mit einem Laserzaun gesicherte Halle heimlich einzudringen, war nicht zu denken. Und die Bewohner der Insel verhielten sich ansonsten absolut unauffällig. Sie arbeiteten in ihren Gärten oder fuhren zum Fischen aufs Meer, spielten mit den Kindern und bereiteten gemeinsame Malzeiten zu. Ich stürmte also ohne anzuklopfen in Adams Baracke. Er brühte sich gerade einen Tee aus Seegras auf, sah kurz auf und meinte dann: „Willst Du uns verlassen?“ „Erst wenn ich weiß, wozu ihr den leistungsstärksten KI-Rechner der Welt einsetzt.“ „Was glaubst Du denn?“, fragte Adam. „Ich glaube, Ihr tarnt Euch nur als Aussteiger. Das hätte ich auch gleich ahnen können – hier ist alles zu perfekt, zu harmonisch. So etwas gibt es nicht in unserer Zeit.“ „Das gibt es in der Tat nicht mehr. Weil die Menschen nicht mehr ihrem eigenen Verstand und ihren Gefühlen vertrauen, sondern nur dem, was ihnen Künstliche Intelligenzen als richtig oder falsch darlegen. Deshalb haben wir Paradise Island gegründet.“ „...als Basis für Sabotageakte an eben jenen Künstlichen Intelligenzen“, ergänzte ich. „Wenn Du es so nennen willst. Ich würde es so ausdrücken: Wir reinigen die Welt von Digitalmüll und verhelfen den Menschen zu einem autonomen Leben.“ „Und Hanna Karlsen war eine von Euch?“, fragte ich weiter. „Sie war Sympathisantin, hat uns aber nie direkt unterstützt. Auf jeden Fall sind wir für ihren Tod nicht verantwortlich. Ich glaube übrigens, dass es sich nicht um einen Selbstmord handelt. Sie wusste einfach zu viel.“
Als ich gehen will, versucht Adam nicht, mich aufzuhalten. „Dein Schiff fährt heute bei Sonnenuntergang.“ „Keine Angst, dass ich Euch verrate?“ „Das wirst Du nicht“, sagt er entschlossen. „Wir wissen uns zu wehren.“
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