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REISE IN DIE ZUKUNFT
Jeden Monat finden Sie hier eine neue Folge der ESSENTIAL Science-Fiction-Serie Reise in die Zukunft. In einer fiktiven Welt, in der die Ziele des Pariser Klimaabkommens Wirklichkeit geworden sind, erkundet Blogger Nero den möglichen technologischen und gesellschaftlichen Wandel. Ziel der Serie ist es, möglichst kreativ mit ganz unterschiedlichen Visionen zu spielen, und den Leser mitzunehmen auf ein Gedankenexperiment: Wie könnte unsere Zukunft aussehen – und was bedeutet das für uns?
Science-Fiction-Kurzgeschichten: Staffel 2, Folge 3
Vergessen
Als einzige Großstadt der Europäischen Republik weigert sich Rom noch, Selbstfahrer aus der Stadt zu verbannen. Grund dafür soll der Datenschutz sein. Auch die Datenaktivistin Hanna Karlsen war oft hier. Blogger Nero reist in die Ewige Stadt, um mehr zu erfahren.
„Sie müssen das nachrüsten.“ Auf meinen ungläubigen Blick hin schenkt mir der freundliche Carabinieri ein Lächeln und wiederholt auf Italienisch: „In-stal-la-re!“ Mit einer Kopfbewegung zeigt er auf eine Reihe von Werkstätten, die sich entlang der Via Appia Nuova vor den Toren der Innenstadt Roms aufgereiht haben und schon auf Kundschaft warten. Ganz offenkundig bin ich weder der Erste, noch der Einzige mit diesem Problem. Aber Robotaxis haben eben keine Hupe mehr. Sie kommunizieren ja schneller als in Schallgeschwindigkeit: über die Cloud mit anderen Fahrzeugen, Fußgängern und Verkehrszeichen. „In Rom ist Mischverkehr erlaubt, es gibt auch nicht vernetzte Verkehrsteilnehmer“, doziert meine KI-Assistentin Avar und ergänzt ganz nüchtern: „Die Römer zählen das zu ihren bürgerlichen Grundfreiheiten.“ Nun ja, meist gehen Freiheiten auch schnell mit Pflichten einher. In diesem Fall: eine Hupenpflicht. Ich kann es noch immer nicht recht fassen.
Eine Hupe zum Nachrüsten
Bis gerade eben war ich noch entspannt. Gestern hatte der suborbitale Parabelflug von Kuala Lumpur nach Taranto mit dem Space Taxi nur etwas mehr als eine Stunde gedauert. Ich hatte mir ein Langstrecken-Robotaxi gemietet und konnte nachmittags noch an einem Sandstrand in San Pietro liegen, einem Badeort 40 Kilometer südlich des apulischen Weltraumbahnhofs, und im smaragdgrünen Ionischen Meer baden. Und jetzt das. Also gut: „Avar, welche Werkstatt hat gerade einen Termin frei?“ Umgehend kommt die Antwort: „Wenn Du einverstanden bist, nehmen wir die Werkstatt rechts neben dem Pizza-Imbiss.“ Das bin ich, und Avar weist das Robotaxi an, die Werkstatt anzusteuern. Dort geht alles ganz schnell: An allen vier Ecken bringt ein Mechaniker kleine Lautsprecher an, die sich mit Hilfe von Nanopartikeln direkt mit der Karosserie des Robotaxis verbinden. Dann drückt er mir so etwas wie eine Fernbedienung in die Hand. Jetzt wirklich? „Per favore prova questo“, sagt er. „Du sollst es es testen“, sagt Avar. Laut ertönt ein Signal. Ich darf weiterfahren.
Auf dem Weg nach Trastevere
Ich reise nach Rom, um mehr über Hanna Karlsen zu erfahren. Die Datenaktivistin war vor kurzem tot aufgefunden worden und hatte sich in den letzten Jahren häufig in Rom aufgehalten. In der ganzen Europäischen Republik ist die Hauptstadt der italienischen Provinz für ihren praktizierten Datenschutz bekannt und beheimatet eine starke Aktivistenszene. Über einen Mittelsmann hatte ich Kontakt zu „Michele“ aufgenommen, der unter diesem Decknamen auch außerhalb der Szene bekannt ist. Mit ihm wollte ich mich zum Abendessen in einer Trattoria in Trastevere treffen. Das Stadtviertel am Westufer des Tiber gilt seit Jahrzehnten als Treffpunkt für Alternative, Andersdenkende und Aktivisten.
Keine weiteren Wetten, bitte!
Aber jetzt heißt es: erst einmal dorthin kommen. Mein Robotaxi nimmt Kurs auf den großen Kreisverkehr an der Piazza dei Re di Roma. Mit einem seltsamen Ruckeln und ungewohnt langsam fährt es in den Kreisel hinein und will die ganz rechte Spur nehmen. Da schießt von ganz rechts der Grund des Ruckelns an uns vorbei: Ein todesmutiger Scooterfahrer. Das Robotaxi weicht nach links aus. Jetzt werden wir von beiden Seiten überholt. Viele der Autos, die kreuz und quer vor uns die Spuren wechseln, haben noch ein Lenkrad und werden mit hoher Geschwindigkeit von Menschen gefahren. Das Robotaxi hingegen wird immer langsamer und fährt mittlerweile nur noch in Schrittgeschwindigkeit. „Nero, die Fahrzeugsteuerung meldet einen Notfall und geht in den Kriechmodus“, warnt Avar. Über uns donnert ein Drohnentaxi hinweg, mir bricht der Schweiß aus. Das Robotaxi hat die Spur verloren. Mitten im Kreisel bleibt es schließlich stehen. Der Kreisverkehr kommt hinter uns zum Erliegen, die Fahrer quittieren das mit einem Hupkonzert. Was soll ich nun machen? Instinktiv drücke ich auf den Knopf und hupe zurück …
Seit drei Jahrzehnten sorgt Künstliche Intelligenz dafür, dass sich autonome Fahrzeuge in unbekannter Umgebung orientieren können. Erst half sie dabei, Bilddaten zu interpretieren und Sensordaten sinnvoll zusammenzuführen, damit Fahrzeuge ihr Umfeld erkennen können. Dann ergänzte sie diese Daten um weitere Informationen aus der Cloud, etwa von anderen Fahrzeugen, um das Umfeld zu erweitern. Längst ist sie auch in der Lage, prädiktive Aussagen zu treffen und das Verhalten von Verkehrsteilnehmern vorauszusagen. Im Netz gibt es eine beliebte Quizshow mit dem Namen „Turn Back“, die Menschen in Fußgängerzonen, in Kaufhäusern oder am Strand zeigt. An einem bestimmten Punkt wird der Videoclip angehalten: Die Zuschauer müssen gegen Künstliche Intelligenz antreten und tippen, was der Mensch als nächstes macht. Fast immer gewinnt die KI …
Die Grenzen von KI
Zum Glück ist es nicht weit vom Polizeirevier nach Trastevere. Ich kann die Strecke zu Fuß laufen. Mein Robotaxi wurde abgeschleppt, die Carabinieri mussten mich vor den wütenden Autofahrern fast schützen. Das Verkehrschaos kam sogar in den Abendnachrichten. „Robotaxi legt Re di Roma-Kreisel lahm.“ Das war wohl etwas zu viel, denke ich mir, als ich auf der Ponte Palatino über den Tiber laufe. Früher konnte KI mit Mischverkehr gut umgehen, doch in den letzten Jahren wurden Fahrzeuge mit Lenkrad nach und nach aus den Metropolen der Europäischen Republik verbannt. „Offenbar kann Maschinenlernen auch umgekehrt laufen“, sage ich zu Avar. „Ihr Maschinen könnt Dinge auch wieder verlernen. Ihr könnt sie vergessen, wenn sie unwichtig werden.“ Avar schweigt, und mich überkommt ein kurzer Anflug von Überlegenheit. Dann ergänze ich kleinlaut: „So, wie wir Menschen.“
In Trastevere laufe ich durch enge Gassen zur Basilika di Santa Maria. Hier bin ich mit Michele verabredet. Als Erkennungszeichen haben wir eine transparente Schleife verabredet, die zum Symbol der Datenrechtler geworden ist. Wir gehen in eine nahegelegene Trattoria und setzen uns an einen der kleinen Tische im Außenbereich.
Ohne große Vorrede frage ich: „Wie gut hast Du Hanna Karlsen gekannt?“
„Sie hat immer bei uns gewohnt, wenn sie in der Stadt war. Wir haben eine kleine Wohnung hier in Trastevere.“
„Die Ermittlungs-KI der Polizei geht von einem Suizid aus.“
„Hanna hätte das nie getan“, sagt Michele mit festem Blick.
„Das glaubt auch der Kommissar, der damit betraut ist. Die KI hat ihm aber den Zugriff auf die Akten entzogen.“
„Dann soll sich der Kommissar mal fragen, warum das so ist“, sagt Michele. Er denkt kurz nach und berichtet dann: „Vier Wochen vor ihrem Tod war Hanna hier zu Besuch. Als wir von einem Restaurantbesuch nach Hause kamen, war die Wohnung verwüstet, ihre elektronischen Geräte waren alle gestohlen. Meine nicht. Die Polizei sagt, das sei ein gewöhnlicher Einbruch gewesen.“
Ich schaue ihn fragend an.
„Ich glaube das nicht.“
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