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Greifen ist schwerer als denken
Während Rotobertechnik in einigen Bereichen erstaunliche Fortschritte macht, gibt es noch immer ein Körperteil, das den Ingenieuren Kopfzerbrechen bereitet: die Hand. Menschliche Babys können nach Gegenständen greifen – Roboter stoßen da an Grenzen. Eine Bestandsaufnahme.
Im Jahr 1996 schlug zum ersten Mal ein Computer einen amtierenden Schachweltmeister: Garri Kasparow verlor gegen das kleiderschrankgroße Rechenwunder mit dem Namen „Deep Blue“. Das Duell stand symbolhaft dafür, was Computer bald alles können würden. 25 Jahre später sind diese Erwartungen nur zum Teil eingetroffen – zumindest wenn man sich in einer kleinen Drogeriefiliale um die Ecke umsieht. Mehrmals am Tag werden hier Regale befüllt, mit der Zehnerpackung Toilettenpapier oder kleinen Schachteln mit Gesichtscreme. Und meist müssen das die Mitarbeitenden tun. Gerne würden viele von ihnen diese Arbeit an Roboter abgeben. Allerdings: Die Robotertechnik stößt da heute noch an ihre Grenzen. Große, kleine, weiche, feste Produkte hintereinander, die heute anders aussehen als morgen – das überfordert den Roboter. Wie lernt man greifen?
Sanfte Hand von der Uni
Ganz vorn dabei in der Forschung ist die Technische Universität in Berlin. Forscher Raphael Deimel beschrieb in einer Sendung des Westdeutschen Rundfunks ein zentrales Problem: „Man versucht, eine menschliche Hand nachzubauen, weiß aber nicht, was eigentlich das Wichtigste daran ist.“ Deimels Team ging der Frage nach und experimentierte seit Anfang der 2010er Jahre ausgiebig. Dabei stellten sie fest, dass sich beim Greifen die Finger ganz spontan dem Objekt anpassen, das sie anheben wollen. Erst beim Zugriff selbst ergibt sich die letzte Position und der Druck, mit dem die Finger agieren.
Wie aber setzt man das für eine Maschine um? Die Berliner Forscher entwickelten eine weiche Roboterhand mit Fingern aus Silikon, die nur über Luftdruck bewegt werden. Damit passt sich die Hand dem Objekt an, ohne zuvor präzise für dieses Objekt programmiert worden zu sein – vom Handy bis zur Blumenvase, von der Banane bis zum Teddybär. Solch eine Hand – derzeit nur ein Prototyp – könnte gut in der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt werden, um etwa Obst und Gemüse zu sortieren. Denn gerade diese Lebensmittel reagieren besonders empfindlich auf zu viel Druck.
Einsatz in der Pflege?
Auch für Roboter, die etwa in der Pflege arbeiten könnten, wäre solch eine Hand eine Option: Zwar gibt es bereits Roboter, die in diesem Bereich genutzt werden, aber der weitreichende Einsatz scheitert auch am Problem „Hand“. Der humanoide Roboter „Pepper“, ein französisch-japanisches Kooperationsprojekt von Aldebaran Robotics und Softbank, ist ein klassisches Beispiel: Er ist 120 Zentimeter groß, mit Armen und Plastikhänden mit Servoantrieb ausgestattet, kann sprechen, singen und seine Arme und Hände bewegen. Doch Dr. Karsten Schwarz, Mitarbeiter des FORMAT-Projekts an der Uni Halle, wo über den Einsatz solcher Roboter geforscht wird, sagt: „Wir dachten erst, Pepper kann schon greifen und Hol- und Bringdienste erledigen oder putzen und den Staubsauger führen. Das kann er alles nicht. Die Hände sind wirklich nur zur Stabilisierung beim Fahren und zum Gestikulieren da.“
‚Die‘ Roboterhand gibt es also noch nicht. Je klarer der Einsatz, je standardisierter die zu greifenden Objekte, desto besser.
Roboter am Kochfeld
In einem anderen Bereich klappt es schon etwas besser: in einer fertigen Küche der britischen Firma Moley – bestehend aus vollständiger Küchenzeile und zwei Roboterarmen. Kernstück sind hier die beiden fünffingrigen Hände der Firma Schunk aus Lauffen am Neckar, bestückt mit je neun Motoren und zahlreichen Sensoren. Die komplette Steuer-, Regel- und Leistungselektronik ist in die Handwurzel integriert, die Schnittstellen sind standardisiert. So kann die Hand auch mit anderen Roboterarmen kombiniert werden. In der Roboterküche bedienen die Hände souverän Mixer, Messer, Schneebesen, Wasserhahn und Kochfeld. Billig ist das Ganze nicht, aber für etwas mehr als eine Viertelmillion Euro nennt man dann zumindest ein (noch) ziemlich ungewöhnliches Statussymbol sein Eigen. Für Großküchen macht diese Art von Roboter mehr Sinn – wie auch der Hersteller zugibt. Allerdings: Die Arme und Hände dieser Küche brauchen auf sowie über der Arbeitsfläche sehr viel Platz – für das am Anfang geschilderte Problem in der Drogerie sind sie viel zu groß.
Die Firma Dematic, Logistikspezialist aus Heusenstamm, setzt eher auf maßgeschneiderte Hände, die konkret auf eine Aufgabe zugeschnitten werden. Beim Sortieren von Päckchen in die Regale der Zustellfahrzeuge eines Paketlieferanten sind das eher Schieber, die die Pakete an die richtige Stelle dirigieren. Beim Einräumen von Regalen wiederum soll ganz bewusst dem Problem der unterschiedlichen Produktgrößen entgegengewirkt werden – mit unterschiedlich großen Fingern. So lässt sich ein mächtiges Paket mit zwei großen Fingern packen, für das kleinere und leichtere kommen schmalere Finger zum Einsatz. Auf diese Weise bleiben die Zwischenräume im Regal in einem akzeptablen Rahmen.
„Die“ Roboterhand gibt es also noch nicht. Je klarer der Einsatz, je standardisierter die zu greifenden Objekte, desto besser. Einige vielversprechende Ansätze gibt es. Bis auf Weiteres bleibt die menschliche Hand aber ein technisch schwer zu kopierendes Wunderwerk, erst recht in Kombination mit Auge, Gehirn und Arm. Übrigens: Auch Deep Blue konnte seine Schachfiguren noch nicht selbst bewegen. Das musste damals ein Mensch für ihn erledigen.
Dieser Beitrag stammt aus unserem Unternehmensmagazin „ESSENTIAL“, in dem wir kontinuierlich über Trends und Schwerpunktthemen aus unseren Zielindustrien und -märkten berichten. Weitere Beiträge des Magazins finden Sie hier.
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