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Stromaufwärts für die Erdung Oberleitung
Auf den Autobahnen Oberleitungen zu bauen und Lastwagen mit Stromabnehmern auszustatten klingt nach Science-Fiction. Doch wenn es funktioniert, könnte die Idee dazu beitragen, die steigenden CO2-Emissionen aus dem Straßengüterverkehr deutlich zu verringern. Getestet wird sie nun auf einer stark befahrenen deutschen Autobahn.
Alle neun Sekunden fährt ein Lkw vorbei, der Abstand zwischen zwei Pkw beträgt sogar weniger als eine Sekunde. Die A 5 südlich von Frankfurt gehört zu den am stärksten befahrenen Autobahnabschnitten in Deutschland. Vierspurig in jede Fahrtrichtung führt sie durch das südliche Hessen. Für Gerd Riegelhuth, Präsident von „Hessen mobil“, ist sie damit das ideale Testlabor. Der Bauingenieur leitet ein Projekt, das den Straßengüterverkehr revolutionieren soll. Hat er Erfolg, könnten die CO2-Emissionen aus dem Straßengüterverkehr drastisch sinken. Das ist dringend geboten, denn bislang wächst der Lkw-Verkehr ungebremst. Berechnungen des Umweltbundesamts haben ergeben, dass selbst wenn zweieinhalb mal so viel Güter per Bahn transportiert würden, der Lkw-Verkehr in Deutschland bis zum Jahr 2050 um rund 60 Prozent zunähme. Weltweit sieht es noch dramatischer aus: Nach Aussage des Internationalen Transportforums würde der steigende Wohlstand ohne Gegenmaßnahmen dazu führen, dass sich die CO2-Emissionen aus dem Straßengüterverkehr bis zum Jahr 2050 auf 2,4 Gigatonnen verdoppelten.
Bislang härtester Praxistest
Damit das nicht passiert, muss der Lkw der Zukunft mit erneuerbarer Energie fahren, also vor allem mit Sonnen- und Windstrom. Einfach ist das nicht. Denn Experten schätzen, dass ein 40-Tonner einen sieben bis zehn Tonnen schweren Akku mitschleppen müsste, um auch nur annähernd ähnliche Reichweiten zu bieten wie heutige Diesel-Lkws. Deshalb arbeitet ein Konsortium, an dem unter anderem Siemens und Scania beteiligt sind, bereits seit Längerem am Lkw mit Oberleitung. Die Technik sei grundsätzlich geeignet, befand die Bundesanstalt für Straßenwesen nach ausführlichen Tests auf einem ehemaligen Militärflughafen in Brandenburg. In Schweden und in Südkalifornien laufen seit 2017 erste Erprobungen auf öffentlichen Straßen, allerdings auf deutlich kürzeren und teilweise weniger befahrenen Strecken. Den härtesten Praxiseinsatz hat die Technologie noch zu bestehen. Unter der Regie von Riegelhuth beginnt der Test im Mai 2019 auf einem fünf Kilometer langen Teilstück der A 5.
Vorbereitende Maßnahmen
Die Elektrifizierung des Streckenabschnitts ist seit Ende 2018 abgeschlossen, nach nur rund anderthalb Jahren Bauzeit. Dafür wurde der rechte Fahrstreifen in beiden Richtungen mit einer Oberleitung versehen, getragen von insgesamt 231 Masten. Eingespeist wird der Strom durch zwei sogenannte „Unterwerke“, eines für jede Fahrtrichtung. Sie entnehmen den Strom aus dem Mittelspannungsnetz und transformieren ihn von 10.000 auf 670 Volt. Zudem muss der Strom gleichgerichtet werden, denn während die Stromnetze mit Wechselspannung arbeiten, benötigt man für die Fahrdrähte Gleichspannung. Die elektrische Infrastruktur entspricht grundsätz lich den Systemen, die man von O-Bussen – etwa aus der Schweiz – kennt. Sie unterscheidet sich von normaler Bahntechnik vor allem dadurch, dass keine Schiene für die Erdung vorhanden ist. Deshalb werden zwei Fahrdrähte installiert, ein Plus- und ein Minuspol. Sie dienen nicht nur der Stromzuführung, sondern lassen sich auch dazu nutzen, an Bord erzeugten Strom, der zum Beispiel beim Bremsen entsteht, wieder ins Netz zurückzuspeisen.
Die vierspurige A5 südlich von Frankfurt ist das ideale Testlabor.
Gerd Riegelhuth, Präsident von „Hessen mobil“
Stromabnehmer für den Lkw
Die größte technische Herausforderung stellt der Lkw selbst dar. Denn er braucht einen Stromabnehmer, Pantograph genannt, der so wenig Platz wie möglich verbrauchen soll. Zudem muss er sich bei voller Fahrt sicher ausfahren und einziehen lassen – sonst wäre es einem Oberleitungs-Lkw nicht möglich, ein langsameres Fahrzeug zu überholen oder bei blockierter Spur seine Fahrt fortzusetzen. Nach zahlreichen Versuchen scheint eine Lösung gefunden: Der Abnehmer liegt auf dem Kabinendach des Lkw und wird von einem zweiteiligen Schwenkarm an die Oberleitung geführt. Der Arm ruht auf einer elektrischen Schaltzentrale, die direkt hinter der Kabine untergebracht ist. Das kostet einen halben Meter Laderaum, zu Beginn der Tüftelei war es noch dreimal so viel. Ein Dutzend Sensoren, darunter ein Laserscanner, überwachen die Position des Pantographen, nicht nur beim „Anbügeln“, sondern auch während der Fahrt.
Hybridlösungen gefragt
Der große Vorteil des Lkw gegenüber der Güterbahn ist seine Flexibilität – er kann prinzipiell jede öffentliche Straße zu jedem Zeitpunkt erreichen. Diese Eigenschaft, das ist auch den Befürwortern des Oberleitungs-Lkw klar, darf nicht verloren gehen, sonst wird kein Logistikunternehmen zugreifen. Daher sind alle Scania-Lkws als Hybridfahrzeuge ausgelegt: Sie haben einen sparsamen Dieselmotor an Bord, der immer dann einspringt, wenn der Lkw eine nicht elektrifizierte Strecke befährt. Ab der Autobahnausfahrt also fast immer. Zudem ist es gar nicht sinnvoll, alle Autobahnstrecken zu elektrifizieren. Eine Studie des Bundesverkehrsministeriums zeigt: Würden nur 30 Prozent – also etwa 4.000 Kilometer – der deutschen Autobahnen mit einer Oberleitung versehen, könnten 80 Prozent der in Deutschland zugelassenen schweren Lkws diese Technologie nutzen. Vergleichbare Zahlen für den globalen Warenverkehr fehlen bislang, doch überall auf der Welt ist der Güterverkehr in wirtschaftlichen Ballungszentren konzentriert. Allein die 94 Großstädte, die sich in der Klimaschutzinitiative C40 zusammengeschlossen haben, stehen für ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung.
Klimaneutrale Alternativen
Doch auch wo die Oberleitung fehlt, können Lkws klimaneutral betrieben werden. Entweder indem der Dieselmotor keinen fossilen Treibstoff verbrennt, sondern einen mit Grünstrom synthetisch hergestellten Energieträger. Oder man ersetzt den Dieselmotor durch eine Brennstoffzelle, die mit klimafreundlich produziertem Wasserstoff arbeitet. Für beide Technologien rüstet sich Freudenberg Sealing Technologies derzeit. So haben Untersuchungen in den Werkstofflabors des Zulieferers ergeben, dass bei richtiger Auslegung die Dichtungen im Kraftstoffsystem auch für synthetische Dieselersatzkraftstoffe geeignet sind. Parallel arbeitet Freudenberg Sealing Technologies nicht nur an Komponenten für Brennstoffzellen, sondern will diese für Nischenmärkte künftig auch als Komplettsystem anbieten.
Die Ergebnisse der Praxiserprobung auf der A5 liegen 2022 vor.
Testphase bis 2022
Ob der Lkw mit Stromabnehmer zumindest eine Teillösung für einen klimaneutralen Straßengüterverkehr darstellt, wird im Jahr 2022 deutlich werden. Dann nämlich liegen die Ergebnisse aus der Praxiserprobung auf der A 5 vor, die zunächst mit fünf Fahrzeugen startet. Sie müssen sich bei fünf überwiegend mittelständischen Unternehmen unter realen Einsatzbedingungen bewähren. Während des Projekts sammeln Forscher der Technischen Universität Darmstadt viele Daten, die benötigt werden, wenn eines Tages eine größere Infrastruktur entstehen sollte. Sie interessieren sich zum Beispiel dafür, wie viel Strom die Lkws verbrauchen und welche Netzlasten auftreten. Riegelhuth ist selbst gespannt auf die Ergebnisse. Nüchtern konstatiert er: „Es gibt nicht die Weltformel für den klimaneutralen Verkehr.“ Statt darüber zu lamentieren, sagt er: „Wir sollten uns immer fragen: Was können wir beitragen?“
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