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Happy End für den E-Scooter?
100 Jahre nach ihrem ersten Flop stehen Motor-Scooter wieder auf der Kippe. Jetzt beschert ausgerechnet die Corona-Pandemie den E-Scootern eine neue Chance.
„Teufelskarren könnte das Stadtleben mit neuem Terror überziehen." Die Rede ist vom Motor-Scooter, aber diese Schlagzeile ist über 100 Jahre alt. Verheißungen und Kritik des neuen Verkehrsmittels ähneln verblüffend der Debatte um den heutigen E-Scooter. Mit Hohn und Spott beschrieb der „New York Herald“ 1916 dessen Vorläufer als gefährliches „Jungs-Spielzeug“. Die Autoped Company aus Long Island City hatte ihren motorisierten Stehroller als massentaugliches Kurzstreckenfahrzeug beworben, 30 Stundenkilometer schnell, eine Variante mit Benzin- und eine mit Elektroantrieb. Aber die vermeintliche Lösung moderner Verkehrsprobleme setzte sich nicht durch, die Produktion wurde 1921 eingestellt. Nicht viel besser lief es 1919 in Deutschland für den „Motorläufer“ von Krupp, angepriesen als Bindeglied zwischen Fahrrad und Motorrad – ebenfalls ein Flop.
Ausgerechnet die Corona-Pandemie 2020 könnte zur Auferstehung der E-Scooter beitragen.
Scooter-Comeback nach 100 Jahren
Rund 100 Jahre später mischen sich in Deutschland wieder motorisierte Scooter in den Straßenverkehr, still, heimlich und zunächst noch illegal. Hier ein Banker, der schneller als die tretrollernden Kollegen durchs Frankfurter Bankenviertel saust, dort ein Hipster, der überlegen lächelnd an der bergauf strampelnden Radfahrerin vorbeizieht. Kaum sind die neuen Elektro-Scooter gesetzlich zugelassen, stehen sie überall: Leih-Scooter von Lime, Bird, Voi und etlichen weiteren Startups fluten die Großstädte, in Deutschland und vielen anderen Ländern. Blinkend locken sie, einfach mal aufzusteigen und loszurollern. Doch ein allzu lässiger Umgang mit dem neuen, per App leicht verfügbaren Vehikel, beschert den E-Scootern schnell eine negative Wahrnehmung als Ego-Shooter auf Fußwegen, als Spaßmobil alkoholisierter Hasardeure – und am Ende ihres kurzen Lebens als urbaner Elektroschrott.
Erste Öko-Bilanz der E-Scooter enttäuscht
Ein handfester Kritikpunkt ist die Öko-Bilanz der Leih-Scooter, denn die Idee der emissionsfreien Mikromobilität wird ad absurdum geführt, sobald entladene E-Scooter mit dieselbetriebenen Transportern quer durch die Stadt zur Ladestation und wieder zurück transportiert werden. Zudem sind sie oft schon nach drei Monaten schrottreif, nicht zuletzt wegen Vandalismus. Also droht auch dem elektrischen Nachfolger des Autoped ein schnelles Ende. Oder?
Top oder Flop?
Ein Jahr nach dem Boom von 2019 und der großen Ernüchterung zeichnet sich eine neue Chance für den E-Scooter ab. Der erste Hype hat sich abgekühlt, viele Städte haben Konzepte und Auflagen erarbeitet, um die Nutzung zu regulieren. Nun könnte ausgerechnet die Corona-Pandemie 2020 zur Auferstehung der E-Scooter beitragen, obwohl es zunächst so aussah, als sei das Virus tödlich für das Geschäftsmodell des Scooter-Sharings. Aus Furcht vor Ansteckung an womöglich virenverseuchten Lenkern wurden die Leih-Roller gemieden – was auch Anbieter von Car- und Bike-Sharing empfindlich traf. Zudem hielt das „Stay-at-Home “-Gebot die Menschen wochenlang zu Hause. Auch der Städtetourismus kam zum Stillstand, vorerst war Schluss mit dem unbeschwerten Herumkurven in Großstädten, also auch mit einer lukrativen Einnahmequelle der Verleiher. Dies stürzte die Branche weltweit in die Krise. Die Unternehmen parkten große Teile ihrer Flotten und bauten Personal ab.
E-Scooter könnten eine schnelle und saubere Art von Mobilität sein, die das Verkehrsnetz entlastet und soziale Distanz ermöglicht.
Neue Chance in der Corona-Krise
Während manche Länder ihre Corona-Beschränkungen vorsichtig lockern, rücken E-Scooter wieder in den Fokus – diesmal als Pandemie-taugliche Verkehrsmittel. Denn bei vielen Pendlern bleibt das Unbehagen gegenüber vollen Bussen und Zügen, in denen Abstandsregelungen zum Infektionsschutz kaum eingehalten werden können. Zudem nutzten viele Städte die verkehrsarme Zeit, um Alternativen zum Auto mehr Raum zu geben, beispielsweise mit Popup-Radwegen. Dies könnte den Wandel der urbanen Mobilität beschleunigen. Der große Gewinner ist das Fahrrad, doch E-Scooter könnten im Windschatten mitziehen.
Städte setzen wieder auf E-Scooter
Großbritannien treibt die Zulassung der Leih-Scooter voran. „E-Scooter könnten eine schnelle und saubere Art von Mobilität sein, die das Verkehrsnetz entlastet und soziale Distanz ermöglicht“, argumentiert die Regierung. Positive Signale kommen auch aus Metropolen wie Rom, Brisbane, Bogota oder Buenos Aires. In den USA und in Deutschland bereiten sich Sharing-Anbieter auf einen Neustart vor und reagieren auf veränderte Bedürfnisse –von Desinfektionsroutinen für die Fahrzeuge bis hin zu engerer Kooperation mit den kommunalen Verkehrsplanern. Rebecca Hahn vom Unternehmen Bird berichtet gegenüber „Forbes“, dass Nutzer zunehmend ihre komplette Wegstrecke mit dem E-Scooter zurücklegen und damit nicht nur die erste oder letzte Meile überbrücken. Diese Beobachtung teilen Anbieter aus Washington und Oklahoma. Verkehrsexperten meinen, dass E-Scooter dann sinnvoll sind, wenn sie als Bindeglied in ein Netz umweltfreundlicher Verkehrsmittel eingebunden werden, beispielsweise durch Partnerschaften mit städtischen Verkehrsbetrieben. So könnten sie als Ergänzung zu öffentlichen Verkehrsmitteln akzeptiert werden, statt mit ihnen zu konkurrieren. Unterdessen bemühen sich viele Anbieter um eine bessere Öko-Bilanz, beispielsweise mit wechselbaren Akkus oder emissionsfreien Transporten zu den Ladestationen. Womöglich emanzipiert sich der E-Scooter jetzt doch noch vom Spaßmobil zum ernstzunehmenden Verkehrsmittel.
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