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Ein Hoch im Norden
In Norwegen gehört Elektromobilität mittlerweile zum Alltag der Menschen. Jeder dritte Neuwagen hat einen Elektroantrieb an Bord. Auch wenn der Erfolg bislang von staatlicher Förderung abhängt, gilt das skandinavische Land als wichtigster Testmarkt weltweit. Doch die vollkommene Abschaffung des Verbrennungsmotors ist auch dort nicht in Sicht.
Kurz nach Midsommar, dem Tag der Sonnenwende, ist der Abend lang. In Oslo trifft man sich draußen, trinkt mit Freunden ein Bier, Blick auf den Fjord inklusive. Zu einem besonders beliebten Treffpunkt hat sich der Platz vor dem „Eisberg“ entwickelt, so der Spitzname des 2008 auf dem ehemaligen Hafengelände eröffneten Opernhauses. Dort treffen wir Magne Bjella, der die Oper in den sozialen Medien und im Internet vermarktet. Der Mittfünfziger fühlt sich als Pionier in einem Gewerbe, das neben klassischer Werbung vor allem auf gute Kritiken in den meinungsführenden Zeitungen setzt. „Wir müssen immer wieder neue Wege gehen“, sagt Bjella, der den Job erst vor ein paar Jahren übernommen hat. So verwundert es auch kaum, dass er ein Elektroauto fährt. „Es war allerdings eher Zufall, dass ich umgestiegen bin“, räumt Bjella ein. Als er zu seinem Händler fuhr, wollte er eigentlich nur Ersatz für sein betagtes Modell. Er nutzte das Angebot, einen E-Golf Probe zu fahren – und entschied sich dann für die elektrische Variante, trotz seiner Bedenken, was die Reichweite betrifft. „Alles ist wie beim normalen Golf, nur ein wenig besser“, lautet sein Resümee nach zwei Jahren Alltagsgebrauch.
Ein Exot ist Bjella mit seiner Entscheidung nicht mehr. In keinem anderen Land der Welt ist Elektromobilität so selbstverständlich geworden. 150.000 batterieelektrische Fahrzeuge sind mittlerweile zugelassen, mehr als in Deutschland, und das obwohl Norwegen nur wenig mehr als fünf Millionen Einwohner zählt. Der Marktanteil im ersten Halbjahr 2016 betrug 18 Prozent, das entspricht in etwa dem Niveau des Vorjahres – und verweist gleichzeitig darauf, dass auch im Musterland der Elektrofans der Verbrennungsmotor noch nicht ausgemustert ist. Gewachsen ist in den letzten drei Jahren vor allem der Marktanteil der Plug-in-Hybridfahrzeuge, er beträgt mittlerweile 16 Prozent.
Jeder dritte Neuwagen fährt zumindest zeitweise rein elektrisch, ein schier unglaublich hoher Anteil. In China, wo es mittlerweile eine staatlich verordnete Quote gibt, sollen zunächst acht Prozent ausreichen. Und in Deutschland betrug der Anteil an den Neuzulassungen trotz Prämie zuletzt nur 1,3 Prozent, immerhin eine Verdoppelung zum Vorjahr. Wichtigster Grund für den Erfolg im Norden ist die staatliche Unterstützung. Käufer eines E-Autos sparen nicht nur die Mehrwertsteuer in Höhe von 25 Prozent, sondern bekommen auch die „Purchase Tax“ erlassen, eine zusätzliche Erwerbssteuer, vergleichbar der deutschen Grunderwerbssteuer. In Summe führt der staatliche Verzicht dazu, dass es für den Kunden oft billiger ist, ein Elektroauto zu kaufen als ein Modell mit Verbrennungsmotor. Die Sonderregelungen sind erst im Juni 2017 bis ins Jahr 2020 verlängert worden. Der Konsens war parteiübergreifend, lediglich in der Arbeiterpartei gab es zuvor Stimmen, den Zuschuss auf Fahrzeuge mit einem Nettopreis von 500.000 Kronen, umgerechnet 53.000 Euro, zu begrenzen.
E-Autos parken kostenfrei
Allein auf die niedrigeren Anschaffungskosten wollte Norwegen bei der Elektroförderung nicht vertrauen. Daher gelten seit Jahren weitere Incentives: E-Autos durften bislang in den Innenstädten kostenfrei geparkt werden. Die Fahrer mussten für die angesichts der zerklüfteten Küste häufigen Brücken und Fähren keine Gebühren bezahlen und durften im morgendlichen Stau sogar die Busspur benutzen. Waren solche Regelungen bislang zentral verordnet, so ist es mittlerweile den Kommunen überlassen, welche Vorteile sie den Elektroautofahrern gewähren. Denn für die Gemeinden ist Elektromobilität zu einem erheblichen Kostenfaktor geworden. Schätzungen besagen, dass allein Oslo durch den Verzicht auf die Straßennutzungsgebühren jedes Jahr Einnahmen in Höhe von 35 Millionen Euro verliert.
Hohe Reichweite, hohe Nachfrage
Dass sich angesichts der günstigen Rahmenbedingungen immer noch zwei Drittel der Autofahrer für ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor entscheiden, ist vor allem der bislang bescheidenen Reichweite der Elektroautos zuzuschreiben. Norwegen ist ein Flächenland, von Kristiansand im Süden bis ans Nordkap fährt man mehr als 2.000 Kilometer. Auch wenn die meisten Süd-Norweger nie so weit fahren, so haben viele Städter doch Sommerhäuser in den Bergen oder am Meer. „50 Prozent aller Distanzen, die in Norwegen zurückgelegt werden, sind mit aktuellen Elektroautos nicht zu schaffen“, sagt Christina Bu, Generalsekretärin des Norwegischen Elektroautos-Verbandes und glühende Verfechterin des elektrischen Antriebs. „Um diesen Markt zu adressieren, benötigt man größere Elektroautos mit höherer Reichweite zu vernünftigen Kosten.“ Dass ein verbessertes Angebot die Nachfrage weiter steigern könnte, zeigt der Opel E-Ampera, der im europäischen Normzyklus eine elektrische Reichweite von 520 Kilometern aufweist. In Norwegen haben sich mehr als 4.000 Bestellungen angehäuft, sodass die Lieferzeit für den in kleinen Stückzahlen produzierten Wagen mittlerweile mehr als ein Jahr beträgt. Auch Ulf Tore Hekneby freut sich über die hohe Nachfrage nach Elektroautos. Er ist Geschäftsführer von Møller, dem Volkswagen-Importeur. Für den neuen E-Golf mit einer auf 300 Kilometer verbesserten Reichweite hat er Vorbestellungen für etwa vier Monate. „Der ganze Markt dreht sich mittlerweile um das Thema Reichweite“, sagt Hekneby. Rund die Hälfte aller in Norwegen verkauften Volkswagen hat entweder einen batterieelektrischen oder einen Plug-in-Hybrid¬antrieb. Dass die Marke damit deutlich höhere Elektroquoten erzielt als die Wettbewerber, ist kein Zufall. Schon mit der Einführung des E-Up vor vier Jahren entschied sich der Importeur dafür, die komplette Handelsorganisation auf das neue Antriebsprinzip einzuschwören. Anders als in Deutschland wurden nicht nur einzelne Schwerpunkthändler in Verkauf und Service geschult, sondern jeder der mehr als 60 Handelsbetriebe. „Damit haben wir der Zukunft den Weg bereitet“, so Hekneby
Schon 2025 emissionsfrei
Geht es so weiter, wie es sich die norwegische Politik wünscht, sollen ab dem Jahr 2025 nur noch emissionsfreie Autos zugelassen werden. „Das Ziel ist vom norwegischen Parlament verabschiedet worden“, erläutert Bu. Sie verweist aber auch darauf, dass ein Alleingang Norwegens nicht möglich ist: Zwar ist das Land nicht Mitglied der Europäischen Union, dafür aber Teil des Europäischen Wirtschaftsraums EWR. „Dessen Regeln müssen wir einhalten“, so Bu. So experimentiert das Land, das seinen Reichtum den Erdöl- und Erdgasvorkommen verdankt, mittlerweile auch mit Alternativen zur batterieelektrischen Mobilität. Im Juli gab ein von Nordic Blue Crude geführtes Konsortium bekannt, an der Südküste ab dem Jahr 2020 einen Rohöl-Ersatzstoff zu produzieren. Als Ausgangsstoffe der mithilfe von Ökostrom aus Wasserkraft betriebenen Reaktion dienen Wasser und Kohlendioxid. Letzteres soll teilweise mit einem in der Schweiz entwickelten Verfahren aus der Umgebungsluft gewonnen werden und wäre somit komplett klimaneutral. Die Produktionsmenge von zehn Millionen Litern jährlich würde ausreichen, um 13.000 Pkw mit synthetischen Kraftstoffen zu betreiben. Bewährt sich der erstmals im industriellen Maßstab produzierte Ölersatz, könnte es sein, dass Norwegen auch bei emissionsfreier Langstrecken- und Gütermobilität zum Vorbild für die Welt wird.
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