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Flüssige Elektrizität
Durchsichtig wie Wasser und annähernd geruchslos ist die Flüssigkeit, die in Zukunft die chemische Basis für Kunst- und Kraftstoffe darstellen soll. Gunnar Holen, CEO von Nordic Blue Crude, will den Rohöl-Ersatzstoff ab 2020 fertigen.
Im Juli gab das Unternehmen bekannt, eine erste Anlage im Süden Norwegens aufzubauen. Sie soll jährlich zunächst 8.000 Tonnen synthetische Kohlenwasserstoffe pro Jahr herstellen – und das komplett klimaneutral. Denn die wichtigsten Ausgangsstoffe für das Rohöl der Zukunft sind Wasserstoff und Kohlendioxid. Letzteres soll entweder direkt aus der Luft abgeschieden werden oder aus Chemieanlagen und Kraftwerken stammen, die das Treibhausgas ansonsten in die Atmosphäre abgeben würden. Die für die Produktion benötigte Energie soll komplett aus regenerativ erzeugter Energie kommen.
Die technischen Grundlagen für den mehrstufigen Prozess hat das ostdeutsche Start-up Sunfire entwickelt, das in der Nähe von Dresden bereits eine kleine Demonstrationsanlage betreibt. Der erste Schritt besteht darin, den in der Natur nicht vorkommenden Wasserstoff aus Wasser zu fertigen. Dafür nutzt Sunfire eine Hochtemperatur-Brennstoffzelle, die, verglichen mit Zellen für den Fahrzeugantrieb, in umgekehrter Richtung arbeitet. Zugeführt wird heißer Wasserdampf, für dessen Erhitzung die Abwärme aus anderen Prozessschritten genutzt wird. Das erhöht den Gesamtwirkungsgrad der Anlage deutlich, er soll rund 70 Prozent betragen. Anschließend wird mit zwei weiteren Prozessschritten das Kohlendioxid zunächst in Kohlenmonoxid aufgespalten und dann zu einem Gemisch aus Kohlenwasserstoffen verarbeitet, aus dem sich in einer Raffinerie zum Beispiel Dieselersatz produzieren lässt. Abgesehen von der Wasserstofferzeugung in den Hochtemperaturzellen handelt es sich nicht um eine technische Revolution: Die deutschen Chemiker Franz Fischer und Hans Tropsch hatten das grundlegende Verfahren bereits 1925 entwickelt – allerdings mit dem Ziel, Flüssigkraftstoffe aus Kohle herzustellen.
Neu ist vor allem die Entschlossenheit, mit der Gunnar Holen vorgeht. Sobald die erste Anlage in Heroya rund läuft, sollen weitere hinzukommen. Sein Ziel: zehn Anlagen allein in Norwegen, die jährlich den Rohstoff für eine Milliarde Liter Dieselersatz klimaneutral liefern. Es ist nicht nur die Heimatliebe, die Holen dazu treibt, in dem skandinavischem Land zu investieren, sondern nüchternes betriebswirtschaftliches Kalkül. Entscheidend für den Preis des synthetischen Rohöls, für den Holen zwei Euro pro Liter anstrebt, sind die Kosten für die benötigte Energie.
In Norwegen, wo Strom aus Wasserkraftwerken im Überfluss vorhanden ist, kostet eine Kilowattstunde rund drei Eurocent, etwa die Hälfte des durchschnittlichen deutschen Börsenstrompreises. Trotzdem, so Holen, wird es notwendig sein, in zusätzliche Stromerzeugung zu investieren, um den Energiebedarf für die Blue Crude-Produktion zu decken. „Das werden überwiegend Windparks im Norden des Landes sein“, erläutert er. „Dort ist Sturm der Normalzustand.“ Windparks an den Küsten Nordnorwegens kämen auf bis zu 6.000 Volllaststunden pro Jahr und könnten daher zu Kosten von weniger als drei Eurocent pro Kilowattstunde Strom produzieren.
Ob künftig große Mengen synthetischen Kraftstoffes in die Tanks von Pkw und Nutzfahrzeugen fließen, hängt aber nicht nur an der Verfügbarkeit, sondern auch an den politischen Rahmenbedingungen. Denn obwohl E-Diesel bei der Verbrennung nur die Menge Kohlendioxid ausstößt, die für die Herstellung des Kraftstoffes eingesetzt wurde, erhält der Produzent nach aktueller Gesetzeslage dafür keine Gutschrift auf die CO2-Grenzwerte, die er für seine Flotte einhalten muss. Maßgeblich für die Grenzwerterfüllung sind nur die direkt im Fahrzeug entstehenden Emissionen.
Eine Anfang November von der Deutschen Energie-Agentur (Dena) und der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik vorgestellte Studie zeigt jedoch, dass die CO2-Ziele für Straßenverkehr nur durch den Einsatz synthetischer Kraftstoffe erreicht werden können. Die Experten haben dazu vier Szenarien für den Straßenverkehr im Jahr 2050 durchgerechnet. Das überraschende Ergebnis: Selbst wenn sich batterieelektrische Fahrzeuge für den Individualverkehr durchsetzen und neue Nutzfahrzeuge überwiegend von Brennstoffzellen angetrieben werden, spielen synthetisch erzeugte Kraftstoffe eine dominierende Rolle. Betrachtet man den Endenergiebedarf, so stammen 70 Prozent aus den E-Kraftstoffen – wobei der größte Teil für den Güterverkehr sowie den Antrieb von Schiffen und Flugzeugen aufgewendet würde. Die Rückwirkung auf das Energiesystem ist enorm. So müssten europaweit die Investitionen in die Erzeugung von Sonnen- und Windstrom um den Faktor acht gesteigert werden, allein um den Strom für die Kraftstoffproduktion bereitzustellen. Die Experten zeigen sich zuversichtlich, dass E-Diesel eines Tages zu Kosten von etwa einem Euro pro Liter herzustellen ist. Das wäre zwar mehr als doppelt so teuer wie heute auf Basis fossiler Rohstoffe – dafür entfielen die Folgekosten der Klimaveränderung.
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