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„Wer Angst hat wird nicht innovativ sein“
Viele Unternehmen sehen sich gerne als dynamisch und innovativ – Innovation allerdings kommt nicht von alleine. Dr. Jan Kuiken von Freudenberg Sealing Technologies (FST) und Management-Professor Charles O’Reilly, sprechen über verfügbare und benötigte Ressourcen sowie Ideen in Schubladen.
Herr Kuiken, wie weit kann ein Mensch in die Zukunft schauen?
Kuiken: Schauen kann er unendlich weit, aber wie relevant ist das, was er da sieht? Wir hatten vor einiger Zeit hier ein Projekt, dessen Vorgabe es war, 35 Jahre in die Zukunft zu schauen: Wie entwickelt sich die Demographie, was werden die Haupttrends? Das waren ganz wunderbare Ergebnisse, um einen Science-Fiction-Roman zu schreiben. Aber welche Szenarien aus den großen Romanen des Genres haben tatsächlich wirtschaftliche Relevanz? Einige wenige, höchstens.
Das heißt, zu weit vorausschauen nützt gar nichts?
Kuiken: Doch, das kann sehr viel nützen, aber im realen Geschäftsumfeld sind nur zwei bis drei Jahre ein realistisch überschaubarer Zeitraum. Und selbst der ist ungewiss. Wer hat schon die Finanzkrise 2008/09 vorhergesehen? Was wir also brauchen, ist sowohl der Blick in die Zukunft, als auch absolute Flexibilität, um uns anzupassen. Denn für eine langfristige Entwicklung sind zwei Jahre zu kurz. Wir haben in unserer Abteilung jetzt festgelegt, dass wir etwa neun bis zehn Jahre vorausblicken wollen. Welche Trends könnte es geben? Darauf fokussieren wir unsere Entwicklungsressourcen.
Herr O’Reilly, Sie forschen über Innovation und warum Unternehmen darin scheitern, innovativ zu sein. Sind zehn Jahre ein sinnvoller Zeitraum?
O’Reilly: Zunächst mal: Jede Branche hat ihre eigene Entwicklungsgeschwindigkeit. Wer heute einem großen Automobilunternehmen vorsteht, der weiß, dass der Wandel kommt, in Form von autonomem Fahren oder neuen Antriebstechnologien. Und er weiß auch, dass das innerhalb der nächsten Dekade passieren wird. Für einen Ölkonzern wird der Wandel langsamer ablaufen. Für viele IT-Unternehmen sind selbst die nächsten zwei Jahre nicht zu überblicken. Entscheidend ist also, dass man diesen Wandel erkennt und grob einschätzt, was passieren könnte – auch wenn niemand weiß, wann genau. Und was für uns daraus folgt, ist, dass Firmen experimentieren sollten.
Kuiken: Volle Zustimmung. Nehmen Sie die Elektromobilität: Selbst vor drei Jahren haben viele noch gesagt, das hört sich ja ganz gut an, das wird sicherlich mal kommen – irgendwann. Wir haben uns bei FST frühzeitig damit befasst und sind in Vorleistung gegangen, zum Beispiel bei den Lithium-Ionen-Batterien. Der wirkliche Aufschwung ist noch immer nicht gekommen, aber wir haben relevante Ideen für die kommenden Jahre in der Schublade.
Herr O’Reilly, Sie beschreiben in Ihrem jüngsten Buch anschaulich, dass viele Unternehmen daran scheitern, innovativ zu sein, weil das Zeit und Ressourcen kostet.
O’Reilly: Ja, und das ist zunächst mal auch sehr logisch. Viele Firmen fühlen sich unter finanziellem Druck. Sie denken eher kurzfristig. Auch Investoren und Aktionäre sind gar nicht zwangsläufig an kostspieligen Experimenten interessiert, die können ihr Geld ja auch direkt in Start-Ups investieren. Außerdem haben gerade erfolgreiche Unternehmen bereits sehr viel Zeit und Energie investiert, um in ihrem bisherigen Geschäftsfeld herausragend zu sein. Warum sollte man also den kurzfristigen Erfolg riskieren, während im Gegenzug der langfristige Erfolg gar nicht garantiert ist? Da hängt sehr viel von der Führungsebene ab, von dem Willen, in diese Richtung zu gehen.
Das ist eine der zentralen Thesen aus Ihren Studien: „Leadership“ ist entscheidend – wer innovativ sein will, der braucht in der Unternehmensspitze eine überzeugende Führungskraft, die vorangeht.
O’Reilly: Wir reden hier allerdings nicht vom Führungsstil. Der kann sehr unterschiedlich sein. Wir haben uns mit sehr vielen Unternehmen beschäftigt, eines davon war Cypress Semiconductor, ein Halbleiter-Hersteller. Der Manager hatte einen eher autoritären Stil, kümmerte sich um vieles persönlich, aber er ermunterte Innovation. Ein anderes Beispiel ist DaVita, die sich mit Dialyse beschäftigten, Ende der 90er aber fast bankrott waren. CEO Kent Thiry war ein ganz anderer Typ Manager, viel zugänglicher, aber entscheidend war sein Experimentierwille. Ich verstehe Führung als die Fähigkeit, gleichzeitig das zu tun, was das Unternehmen erfolgreich macht, und Experimente für die Zukunft zu managen. DaVita ist heute ein umfassender Medizintechnik-Anbieter, Cypress hat neue Start-Ups wie den Solarzellen-Hersteller SunPower gegründet. Beide haben sich damit ganz neue Bereiche erschlossen.
Herr Kuiken, sehen Sie da Parallelen, wie Freudenberg Sealing Technologies sich bei den Lithium-Ionen-Batterien nicht mehr nur auf Dichtungen konzentriert?
Kuiken: Wir denken um. Bislang lag unser Fokus sehr stark auf den Komponenten, mittlerweile denken wir immer mehr in Systemen. Das Wissen darüber basiert auf unseren Erfahrungen mit Werkstoffen, aber es geht darüber hinaus, zum Beispiel in Richtung elektromagnetische Abschirmung. Das sind Fragen, die wir uns stellen: Wie bringen wir das auf den Markt? Was könnten zukünftige Geschäftsfelder sein? Nehmen Sie das Thema Stack Seals. Da brauche ich eine Dichtung, die eine Lebensdauer von mehr als zehn Jahren hat, in einer hoch aggressiven und korrosiven Umgebung. Dafür haben wir schon die Vorentwicklung gemacht. Und jetzt kommen langsam die Kunden und formulieren mehr und mehr konkrete Anforderungen an ihre Batterien.
Aber dafür braucht es eben auch Rückendeckung aus der Unternehmensleitung.
Kuiken: Ja, und wir sind durch den neuen CTO Dr. Ted Duclos hier wirklich in einer sehr guten Situation. Er ermuntert uns eher zu noch mehr Ideen, dabei haben wir schon so viele, die wir zum Teil erst abarbeiten müssen. Aber indem ich die Schublade mit Ideen und Innovationsprojekten fülle, führe ich zu einer Wertsteigerung – will sagen: wir als Freudenberg Sealing Technologies sind vorbereitet auf die Zukunft. Das Geld, das wir investiert haben, ist ja nicht weg, solange ich weiß, wo meine Schublade ist.
O’Reilly: Ich würde zwar nicht unbedingt sagen, dass jeder investierte Groschen sich am Ende immer eins zu eins auszahlt, aber darum geht es ja auch gar nicht: Auch wir als Akademiker betreiben manchmal sinnvolle Forschung, und am Ende scheitern wir trotzdem. Oft eröffnet diese Art von Fehlschlag neue Perspektiven.
Innovation braucht Selbstüberzeugung?
Kuiken: Ja, kein Erfinder, der es vom Nukleus der Idee bis zur Marktreife gebracht hat, wird behaupten, dass das einfach war. Gleichzeitig ist auch der Selbstzweifel immer Bestandteil. Schließlich betrete ich Neuland, und da ist der Weg nicht vorhersehbar. Das ist eine Geisteshaltung. Sagt Ihnen die Marshmallow-Challenge etwas? Da sind Gruppen von Menschen aufgefordert, aus Nudeln, Bindfaden und einem Marshmallow einen Turm zu bauen. Und welche Art von Gruppe schneidet dabei regelmäßig am besten ab? Nicht die Ingenieure, sondern Grundschulkinder. Weil die noch den Mut haben, es einfach immer wieder neu zu versuchen. Scheitern, das ist ein Lernprozess.
Scheitern ist nicht schlecht?
Kuiken: Nein. Wer Angst hat, zu scheitern, wird nicht innovativ sein können. Wer die Lösung finden will, indem er nur das Problem rundherum abschreitet, wird immer nur eine Lösung finden, die er vorher schon kennt. Unsere Aufgabe ist nicht die Beschreibung des Problems. Und wir als Experten dürfen nicht nur am Rand stehen und Tipps geben. Wir müssen voll involviert sein, wir müssen bereit sein, zu scheitern. Sonst bin ich wie der Fußball-Zuschauer, der von außen schreit, wie das Team zu spielen hat. Wenn ich verändern will, muss ich Teil des Teams sein.
O’Reilly: Das deckt sich auch mit unseren Forschungsergebnissen. Es ist doch so: Wenn Sie in Innovation investieren, gibt es immer ganz viele Gründe, diese Experimente zu beenden. Am Anfang ist das noch kein Problem. Gedankenspiele kosten nichts. Aber sobald aus Ideen echte Projekte werden, die Ressourcen benötigen, werden diese erstaunlich häufig eingestellt. IBM stellte mal fest, dass man stolze 29 heute erfolgreiche Technologien zwar selbst entwickelt, aber niemals kommerzialisiert hatte! Weil es zu dieser Zeit dort keine Kultur gab, die Innovation unterstützte. Stattdessen beendeten alle Abteilungen die Entwicklung, um ihre aktuellen Margen zu retten.
Gegenfrage: Eine Innovation muss aber auch am Markt erfolgreich sein, oder?
Kuiken: Natürlich. Ingenieure neigen manchmal dazu, die Lösung zu wählen, die am herausforderndsten ist. Am Ende haben Sie ein Produkt, bei dem alle Kunden begeistert sagen, das ist ja wunderschön und hoch interessant – aber wir brauchen es nicht, oder es ist zu teuer.
O’Reilly: Eine gute Idee ist noch keine Innovation. Die Frage ist, ob man sie tatsächlich umsetzen kann. Tatsächlich sind es oft gar nicht die Pioniere, die mit einer Idee erfolgreich sind, sondern diejenigen, die zielgerichtet folgen. Innovation alleine ist kein Erfolgsgarant.
Hier gelangen Sie zur Fortsetzung des Interviews. Eine gekürzte Fassung ist in der aktuellen Ausgabe unseres Kundenmagazins ESSENTIAL veröffentlicht.
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