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Porträt von Marcel Schreiner.
29.10.2024

Gute Perspektive für Wasserstoff 

Die Zukunftsaussichten für Wasserstoff schwanken seit Jahrzehnten zwischen Hype und Ernüchterung. Aber, diesmal ist etwas anders: Marcel Schreiner, Global Segment Director, Energy bei Freudenberg Sealing Technologies, erklärt, warum er überzeugt vom langfristigen Potenzial ist und wieso es bei der Dichtungstechnologie auf eine radikal neue Erfindung ankommt.

Herr Schreiner, warum ist Wasserstoff das Zukunftsthema?

Schreiner: Erlauben Sie mir die Gegenfrage: warum nicht? Spannend ist ja, dass das Thema immer in Wellen auftaucht. Anfang der 2000er-Jahre zum Beispiel dachten viele, das Brennstoffzellenauto stehe kurz vor dem Durchbruch. Danach kam die Ernüchterung. Heute haben wir eine andere Situation: Wir wissen, dass es ohne Wasserstoff nicht gehen wird. Etwa 170 Länder haben eine Dekarbonisierungsstrategie – wer wirklich CO2- neutral sein möchte, braucht Wasserstoff. Der aktuelle Hype beschränkt sich nicht mehr nur auf einzelne Applikationen wie die Brennstoffzelle, sondern betrifft die Dekarbonisierung der gesamten Industrie. Sehr relevant ist er vor allem für die Stahlindustrie und die chemische Industrie.

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Marcel Schreiner

Als Global Segment Director, Energy bei Freudenberg Sealing Technologies ist Marcel Schreiner verantwortlich für den Vertrieb an Kunden weltweit. Er hat im Bereich Energie sämtliche Anwendungen im Blick, in denen es um Dichtungslösungen geht: Produktion genauso wie Transport, Lagerung oder Anwendung. Schreiner ist studierter Ingenieur und bereits seit seinem dualen Studium 2002 bei Freudenberg Sealing Technologies.

Was hat in den 2000er Jahren den Hype gestoppt?

Schreiner: Was mit jedem Hype passiert: Er legt sich irgendwann wieder. Der Markt war zur damaligen Zeit noch nicht bereit. Die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff wurde nicht mitgedacht. Die Frage lautet jedoch, was zieht man daraus für Lehren? Wir hatten zu Beginn des damaligen Hypes eine eigenständige Geschäftseinheit für Wasserstoff gegründet. Wir hatten uns Know-how erarbeitet. Als sich der weltweite Durchbruch nicht einstellte, hätten wir das auch alles in die Schublade stecken können. Doch wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Die aktuelle Entwicklung gibt uns recht. Perspektive steckt nicht mehr nur in der Anwendung, sondern auch in der Herstellung, der Elektrolyse, und allen Schritten dazwischen.

Elektrolyse ist aber nicht gleich Elektrolyse …

Schreiner: Richtig, es gibt aktuell verschiedene Verfahren. Für uns ist derzeit die Elektrolyse mit anionenleitender Membran (AEM) interessant: Sie könnte günstig und effektiv sein – aber sie ist noch nicht ausgereift. Hier können wir jedoch unsere Entwicklungskompetenz einbringen. Alkali-Elektrolyse hat eine starke chemische, korrosive Umgebung, da ist das richtige Material eine Herausforderung. Bei der Protonenaustauschmembran-Elektrolyse (PEM: Proton Exchange Membrane) geht es vor allem um hohen Druck. Zwei unterschiedliche Herausforderungen, aber beides Bereiche, in denen wir uns auskennen. Wir sind zudem gut in der Herstellung hoher Stückzahlen, da haben wir Automatisierungskompetenz. Das ist auch für Kunden attraktiv, wenn sie später skalieren wollen.

Eine Standardisierung ist aber noch nicht in Sicht?

Schreiner: Das ist die große Herausforderung, die uns auch künftig begleiten wird: Jeder Kunde hat ein individuelles Design, die Übertragbarkeit ist beschränkt.

Warum sind die Kunden da so unterschiedlich?

Schreiner: Aus der Historie heraus. Lange Zeit waren die Leistungen relativ gering, jetzt brauchen wir aber bis 2050 mindestens 1.200 Gigawatt Elektrolysekapazität, um die globalen CO2-Ziele zu erreichen. Die heutige Kapazität liegt eher bei drei Gigawatt. Eine sehr große Diskrepanz. Deswegen verfolgt jetzt jeder seine eigene Strategie: Die einen fühlen sich wohl mit den bisherigen kleinen Dimensionen, weil sie das gut können, die anderen wollen schnell wachsen, weil sie das Potenzial sehen. Aus diesen Ansätzen entwickeln sich zwangsläufig verschiedene Technologien.

Solche individuellen Lösungen sind aber auch eine Marktchance für Produzenten.

Schreiner: Durchaus, aber auch wir sind trotzdem an Standardisierung interessiert. Unser Vorteil: Wir haben derzeit so viele Kunden im Elektrolysebereich, dass wir sehr früh eingebunden werden. Da ergibt sich die Chance, Standardisierung selbst zu fördern. Das bedeutet Prozesssicherheit für die Kunden, wenn sie auf bewährte Designs zurückgreifen können.

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Es braucht einen radikalen Ansatz. Das ist unser Anspruch, dafür steht Freudenberg seit 175 Jahren.

Sie hatten die hohen materiellen Anforderungen erwähnt – zum Beispiel bei Kompressoren.

Schreiner: Für mobile Anwendungen erfolgt die Speicherung von Wasserstoff bei 350 oder 700 bar – das muss man erst einmal komprimieren. Wasserstoff ist sehr flüchtig, hochpermeativ und leicht brennbar. Nicht viele Kompressoren sind überhaupt in der Lage, 700 bar oder mehr zu erreichen. Insgesamt ist der Verschleißgrad bei diesen extremen Anforderungen recht hoch. Die Lebensdauer für Dichtungen liegt daher heute bei wenigen Hundert Betriebsstunden.

Das ist sehr wenig.

Schreiner: Ja. Und es kitzelt unseren Ingenieursehrgeiz, unsere Entwicklerseele. Wir würden gerne eine Lösung entwickeln, die deutlich langlebiger ist. 1.000 Stunden wären ein guter Anfang. Die Anforderungen an Druck, Geschwindigkeit, und das alles bei Trockenlauf – das können nicht viele. Das motiviert uns. Außerdem: Wenn ich eine Dichtung habe, die für einen Kolbenkompressor funktioniert, dann ist es auch einfach, dieses System an vielen anderen Stellen einzusetzen, von der Tankstelle bis zur Elektrolyse.

Ist der Werkstoff dabei die Herausforderung?

Schreiner: Vermutlich wird es die Kombination aus Werkstoff und Design sein. Eigens entwickelte, verschleißarme Hochleistungsthermoplaste liegen nahe, die unter hohen Belastungen wenig Extrusion zeigen. Vielleicht auch als Blendung mit Fasern. Aber das sind derzeit alles Spekulationen, wir werden sicherlich eine gewisse Material- und Technologieoffenheit an den Tag legen müssen. Die Lösung wird vermutlich ein radikaler Ansatz, aber den braucht es an der Stelle auch. Das ist unser Anspruch, dafür steht Freudenberg ja seit 175 Jahren.

Auch beim Transport sind Dichtungen nötig …

Schreiner: Beim Transport haben wir die Situation, dass die Industrie sich noch nicht geeinigt hat, welche Herangehensweise sich hier durchsetzt. Wobei alle Möglichkeiten Varianten von bereits bestehenden Technologien sind. Es ist kein so relevanter Unterschied, ob ich in meinen Pipelines Erdgas transportiere oder Wasserstoff. Auch die Umwandlung in Ammoniak zum besseren Transport gibt es schon seit 100 Jahren, nämlich beim Thema Düngemittel. Die technologischen Hürden werden also weniger hoch sein. Wir beobachten das, aber wir sehen uns da gut aufgestellt, sobald klar wird, welche Lösung sich durchsetzt. Andere Bereiche bieten eine größere technologische Herausforderung.

Aktuell mehren sich Stimmen, die befürchten, dass das Thema Wasserstoff doch viel langsamer kommen wird.

Schreiner: Ich sprach ja eingangs vom Hype der 2000er. Wir hatten jetzt erneut einen kleinen Hype durch die Ankündigungen diverser Investitionsprogramme, von US-Präsident Bidens „Inflation Reduction Act“ bis hin zu Europas „Green Deal“. Aktuell befinden wir uns in einer Phase des Realismus. Es geht nicht so schnell, wie viele sich eingeredet haben. Das ist aber völlig logisch und überrascht mich gar nicht.

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Wir wollen bereit sein, wenn der Kunde bereit ist.

Sie haben das erwartet?

Schreiner: Ja. Denn bevor wir über Wasserstoffanwendungen sprechen, muss der Wasserstoff erst einmal da sein. Es ist vollkommen logisch, dass wir eine zeitliche Verzögerung haben, je weiter ich in der Wertschöpfungskette entfernt bin. Die Brennstoffzelle kann nicht durch die Decke gehen, wenn noch kein Wasserstoff zur Verfügung steht. Deswegen zögern aktuell viele, in die entsprechenden Projekte zu investieren, und dieser Eindruck verstärkt den Pessimismus. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass sehr wohl investiert wird. Auf der ganzen Welt gibt es Förderprogramme. Es ist jedoch gar nicht so einfach, so viele Milliarden Euro auszuzahlen. Hier trifft also politische Ambition auf nüchterne bürokratische Realität. Aber an der Perspektive für Wasserstoff ändert sich nichts.

Das klingt wiederum recht optimistisch.

Schreiner: Wir nehmen bei den Unternehmen eine viel positivere Stimmung wahr als in der breiten Öffentlichkeit. Viele Unternehmen, insbesondere die Elektrolysehersteller, haben gut gefüllte Auftragsbücher. Wenn der Hype-Zyklus wieder anzieht, wird es darum gehen, die Marktanforderungen schnell bedienen zu können.

Worauf kommt es dann an?

Schreiner: Wir haben an uns den Anspruch, wenn der Kunde unser Produkt testet, sollte es direkt ein Volltreffer sein. Da sind wir aktuell noch nicht immer – das ist in dieser Phase auch kein Problem. Aber wenn der Zug ins Rollen kommt, macht das den Unterschied. Wir wollen bereit sein, wenn der Kunde bereit ist.

Der Trend zum Wasserstoff ist nicht umkehrbar?

Schreiner: Nein. Alles potenziert sich: Wenn wir jetzt Wasserstoff verstärkt grün produzieren, zieht das noch mehr Ausbau für Solar- und Windenergie nach. Gleichzeitig haben wir Megatrends wie Elektromobilität und künstliche Intelligenz – beides wird Energie benötigen. Das alles hängt zusammen – und mittendrin steht der Wasserstoff.


Dieser Beitrag stammt aus unserem Unternehmensmagazin „ESSENTIAL“, in dem wir kontinuierlich über Trends und Schwerpunktthemen aus unseren Zielindustrien und -märkten berichten. Weitere Beiträge des Magazins finden Sie hier.

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