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Strom klimafreundlich transportieren
In Zukunft müssen große Mengen Strom über weite Strecken transportiert werden. Doch in den Schaltanlagen von Verteiler- und Umspannwerken kommt heute ein Gas als Isolator zum Einsatz, das 22.800 mal klimaschädlicher ist als CO₂. Jetzt erproben die Entwickler Alternativen – mit Gasen, die besonders hohe Anforderungen an die Dichtungen stellen.
Auf den ersten Blick ist der Plan für eine klimaneutrale Zukunft ganz einfach. Da sich erneuerbarer Strom aus Wind, Sonne und Wasser nicht immer dort erzeugen lässt, wo die Verbraucher sind, wird er über leistungsstarke Netze transportiert und dient dabei auch als Energiequelle für den Verkehrs- und den Wärmesektor. Doch damit dies verlustarm funktioniert, muss der Strom unter möglichst hoher Spannung durch das Netz fließen und deswegen in Umspannanlagen mehrmals transformiert werden. Um das Netz dabei zu steuern, werden Stromkreise in Schaltanlagen zu- und abgeschaltet.
Schutzgas verhindert Lichtbogen
Mit dem Netzausbau entstehen solche Anlagen zunehmend in urbanen Räumen, in denen nur wenig Platz zur Verfügung steht. Um die in den Verteiler- und Umspannwerken enthaltenen Schaltanlagen möglichst kompakt auszuführen, sind die Schalter für Hoch- und Mittelspannung gasdicht gekapselt. Wenn ein Schalter geöffnet wird und die Metallkontakte sich voneinander entfernen, dann sorgt ein spezielles Gas im Inneren des Schalters dafür, dass sich die Ladung rasch voneinander trennt und kein Überschlag in Form eines Lichtbogens entsteht. Und wenn dies doch einmal der Fall sein sollte, dann löscht das Gas den Lichtbogen, so dass die Schaltung sicher funktioniert.
Ein Schutzgas, das diese Anforderungen besonders gut erfüllt, ist Schwefelhexafluorid (SF6). Es wird unter hohem Druck in die Schalter gefüllt und hat dann als Isolierwerkstoff eine sehr hohe, sogenannte „Durchschlagfestigkeit“ – das komprimierte Gas kann die elektrische Ladung auch unter Hochspannung sicher voneinander trennen. Außerdem löscht es einen möglicherweise entstehenden Lichtbogen sofort. Ein SF6-Molekül besteht aus einem Schwefelatom und sechs Fluoratomen und ist relativ groß. Auch das ist von Vorteil, denn das Molekül wandert deswegen nur sehr ungern durch Gummi hindurch – also auch durch die O-Ringe und Spezialdichtungen, die beispielsweise den Durchgang der Stromleitungen durch das Gehäuse eines Schalters abdichten. Freudenberg Sealing Technologies hat Dichtungen entwickelt, mit denen das Schutzgas über viele Jahre im Schalter verbleibt. Erst wenn der Gasdruck im Schalter unter eine bestimmte Schwelle sinkt, muss im Zuge einer Wartung neues SF6 nachgefüllt werden.
Das Schutzgas hat aber auch einen großen Nachteil. Denn es ist um den Faktor 22.800 klimaschädlicher als CO2. Fachleute bezeichnen das klimaschädliche Potenzial auch als Global Warming Potential (GWP). Und auch wenn das Gas nur langsam durch den Dichtungswerkstoff wandert: Früher oder später gelangt es doch in die Atmosphäre. In einer Verordnung zu Verringerung von fluorierten Treibhausgasen hat die EU deshalb 2014 die verfügbaren Mengen an Gasen wie SF6 schrittweise beschränkt und damit die Suche nach Alternativen motiviert. Inzwischen sind etwa eine Handvoll möglicher Stoffe identifiziert, die alle auf CO2 basieren und teilweise mit weiteren Komponenten angereichert werden. Sie sind weitaus klimafreundlicher, haben aber auch einen großen Nachteil: Sie wandern viel leichter durch den Dichtungswerkstoff. „Das ist wie bei einem Luftballon“, erklärt Dr. Robert Rotzoll, Materialentwickler bei Freudenberg Sealing Technologies. „Am Anfang ist er prall gefüllt, doch über die Zeit entweicht die Luft oder das Helium durch die Gummioberfläche.“ Den Vorgang, bei dem ein Gas einen Festkörper durchdringt oder durchwandert, nennt man Permeation, und die ist eben bei dem kleinen CO2–Molekül viel höher als bei SF6.
Das ist wie bei einem Luftballon. Am Anfang ist er prall gefüllt, doch über die Zeit entweicht die Luft oder das Helium durch die Gummioberfläche.
Dr. Robert Rotzoll, Materialentwickler bei Freudenberg Sealing Technologies
Klimafreundliche Alternativgase stellen neue Herausforderungen an Dichtungen
Damit war die Aufgabe für die Materialentwickler von Freudenberg Sealing Technologies definiert. „Die Kunst liegt darin, einen Werkstoff so zu gestalten, dass er den Spagat zwischen allen Anforderungen schafft“, erläutert Rotzoll. In diesem Fall bestand dieser Spagat vor allem in einer möglichst geringen Permeation bei einem gleichzeitig möglichst weiten Temperaturfenster von minus 50 bis über 100 Grad Celsius. Denn die Schaltanlagen sollen sich auch für kalte Weltregionen wie zum Beispiel Skandinavien oder Sibirien eignen. Gleichzeitig muss der Dichtungswerkstoff eine hohe Lebensdauer haben und zu diesem Zweck gegenüber aggressiven Medien wie zum Beispiel Sauerstoff und Ozon beständig sein, die von außen auf die Dichtung einwirken.
In mehrjähriger Entwicklungsarbeit fanden Rotzoll und seine Kollegen nun zwei Werkstoffe, die die höheren Anforderungen an die Permeation erfüllen, ohne Einbußen bei der Temperaturbeständigkeit hinnehmen zu müssen. Während der eine Werkstoff auf EPDM-Basis entwickelt wurde, verwendet die zweite Lösung einen Synthesekautschuk auf Chlorbutyl-Basis (CIIR) – ein Material, das sich durch eine geringe Durchlässigkeit gegenüber Gasen und Flüssigkeiten auszeichnet und das deswegen unter anderem in der Reifenindustrie zum Einsatz kommt. „Die neuen O-Ringe für klimafreundliche Alternativgase sind fertig entwickelt, und die Dichtungen auf Chlorbutyl-Basis haben wir bereits in Prototypen-Schalter eingebaut“, berichtet Rotzoll. „Jetzt geht es darum, sie gemeinsam mit unseren Kunden zu testen.“ Gelingen die Tests, dann lässt sich klimafreundlich erzeugter Strom künftig noch klimafreundlicher transportieren.
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Anmerkung: Dieser Beitrag erschien erstmals im Mai 2018 im ESSENTIAL-Magazin von Freudenberg Sealing Technologies.
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