Neuigkeiten und Hintergründe aus der Dichtungstechnik erfahren, innovative Produkte kennenlernen – im kostenlosen E-Mail-Newsletter von Freudenberg Sealing Technologies.
Mit kalter Nadel
Eine zunächst nur in den USA eingesetzte Spritzgusstechnik hat sich mittlerweile in vielen Werken von Freudenberg Sealing Technologies auf der ganzen Welt durchgesetzt. Das Beispiel zeigt: Gerade wenn es um jeden Cent geht, kann das den Einsatz ressourcenschonender Technologien fördern.
Lebe frei oder stirb. Das offizielle Motto des US-Bundesstaats New Hampshire existiert zwar erst seit 1945, reicht aber bis in die Gründertage der Vereinigten Staaten zurück. Im Büro von Robert Scavuzzo, bei Freudenberg Sealing Technologies für die Entwicklung neuer Fertigungstechnologien verantwortlich, stehen immer einige Schilder mit diesem Motto im Regal. Besuchern drückt er sie zum Abschied in die Hand. Scavuzzo, von deutschen und italienischen Einwanderern abstammend, hat selbst erlebt, wie die Kombination von Freiheit und Fleiß zu gesellschaftlichem Aufstieg führen kann. Für ihn ist der amerikanische Traum noch immer lebendig, so wie für viele Menschen in aller Welt. Im Jahr 2019, so eine Untersuchung des Pew Research Center, lebten mehr als 44 Millionen Menschen legal in den USA, die in einem anderen Staat geboren worden waren.
In einigen Weltregionen ist der Glanz des Sternenbanners jedoch verblasst. Schuld daran ist nicht ein einzelner Präsident, sondern vor allem der enorme Ressourcenverbrauch der westlichen Führungsmacht. Ein US-Amerikaner emittiert pro Kopf etwa viermal so viel Kohlendioxid wie der globale Durchschnitt. Beim Wasserverbrauch pro Kopf halten die USA den Rekord unter den OECD-Staaten, ein Tribut an die Kultivierung einst dürrer Landschaften. Vielen Europäern gelten die USA mittlerweile als Beispiel dafür, wie ein nachhaltiger Lebensstil nicht aussehen darf. Mangelnde Regulierung, so wird oft vermutet, sei die Hauptursache für den großzügigen Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen.
Doch wie es so ist mit Stereotypen: Für Facetten ist da kein Platz. Der CO2-Ausstoß pro Kopf mag hoch sein, doch die stärksten Rückgänge unter allen Industriestaaten haben in den letzten Jahren die USA verzeichnet. Nicht durch Milliardensubventionen erneuerbarer Energien, sondern allein durch den Umstieg von Kohle auf das durch die heimische Förderung kostengünstigere Erdgas. Der größte Elektroautobauer der Welt kommt nicht aus Deutschland, wo sich eine regierungsamtliche Plattform um die Mobilität der Zukunft kümmert, sondern aus Kalifornien – das wiederum seit Jahrzehnten für die Luftreinheit kämpft.
Freiheit ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Innovation überhaupt erst entsteht.
Abfall vermeiden
Und damit sind wir wieder im Büro von Robert Scavuzzo, der mit großer Leidenschaft einen komplizierten technischen Prozess erläutert, mit dem Dichtungen gefertigt werden. Der Rohstoff, ein Elastomer, wird im Zylinder erwärmt und dadurch fließfähig gemacht. Es gleitet dann über eine verschließbare Düse in das darunterliegende Werkzeug, das man sich als Backform vorstellen kann. Kaltkanal-Spritzguss mit Nadelverschluss heißt die Technik. Was so unspektakulär klingt, spart jedes Jahr große Mengen Abfall. Denn ohne den exakt arbeitenden Nadelverschluss würden sich bei jedem Gussvorgang kleine Angusszapfen bilden, die vom ausgehärteten Produkt wieder entfernt werden müssten. Da sich die einzelnen Moleküle von Elastomeren beim Aushärten vernetzen – erst dadurch entsteht die gewünschte Elastizität –, ist der Abfall nicht direkt wiederzuverwerten. Meist wird er verbrannt, wodurch der enthaltene Kohlenstoff als CO2 freigesetzt wird. Weil Freudenberg Sealing Technologies den Prozess mittlerweile weltweit in seinen Werken einsetzt, spart das Unternehmen jährlich rund 70 Tonnen Abfall und emittiert 600 Tonnen weniger CO2.
Leitwerk für die mit kalter Nadel arbeitende Spritzgusstechnik ist das Freudenberg-Werk in Manchester, eine lebenswerte 100.000-Einwohner-Stadt in New Hampshire. Hier fertigt das Unternehmen Dichtungen für Motoren, Ventilschaftringe beispielsweise, die Stückzahlen werden in Millionen gezählt. Schon vor 20 Jahren wurde die damals neue Technologie im Werk eingeführt. „Unsere Kunden sind extrem preissensibel“, erläutert Robert Lidster, Technischer Direktor der Division. „Aber wenn wir konstruktionsbedingte Abfälle vermeiden können, hilft das nicht nur der Umwelt, sondern wir können auch zu günstigeren Preisen anbieten.“ Klar ist aber auch: Die Nadelverschlusstechnik kostet mehr Geld als klassische Kaltkanal-Werkzeuge. So entscheidet man in Manchester für jedes Produkt einzeln, ob die Nadelverschlusstechnik zum Einsatz kommt oder nicht. Je höher die Stückzahl und je größer das Produkt, so die einfache Faustformel, desto größer die Einsparung und desto eher amortisiert sich das teurere Werkzeug. Doch Lidster weist auf einen weiteren Vorteil des Verfahrens hin: „Die Produktqualität steigt, weil durch die verschlossene Nadel kein überschüssiges Material zurückfließen kann. Das könnte sonst eventuell zu Ungleichmäßigkeiten in der Materialstruktur führen.“
Fortschritt aus dem Computer
Für den Vorausentwickler Robert Scavuzzo ist der Erfolg der Nadelverschlusstechnik kein Grund sich auszuruhen. In den letzten Jahren hat er vor allem die Geometrie der Kanäle optimiert. „Dafür haben wir Verfahren der computerbasierten Fluidberechnung verwendet, wie sie auch für die Auslegung von Turboladern oder Flugturbinen verwendet werden.“
Das Ergebnis: Um das Rohmaterial durch die nun abgerundeten Kanäle zu bewegen, wird bis zu 35 Prozent weniger Druck benötigt – das wiederum spart Energie und führt zu einem gleichmäßigeren Fließverhalten. Noch im Entwicklungsstadium ist eine neue Generation des Ventilantriebs. Das Ventil kann sich bislang nur in festgelegtem Takt öffnen und schließen. Doch wie im Fahrzeugmotor auch hätte eine variable Ventilsteuerung große Vorteile. „Mit einem Servoantrieb könnten wir die Ventilöffnung nahezu beliebig steuern“, so Scavuzzo. „Wir könnten so den Prozess jederzeit an veränderte Rahmenbedingungen anpassen.“ Eine Industrie 4.0-Technik, die auch in deutschen Werken von Freudenberg Sealing Technologies auf Interesse trifft. Wie schnell sich eine ökologisch sinnvolle Technologie durchsetzt ‒ das kann man am Beispiel der Nadelverschlusstechnik illustrieren ‒, hängt vor allem davon ab, ob sie auch ökonomische Vorteile bietet. Freiheit wiederum ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Innovation überhaupt erst entsteht.
Dieser Beitrag stammt aus unserem Unternehmensmagazin „ESSENTIAL“, in dem wir kontinuierlich über Trends und Schwerpunktthemen aus unseren Zielindustrien und -märkten berichten. Weitere Beiträge des Magazins finden Sie hier.
Weitere Storys zum Thema Technologie